Was ist "Boulle-Technik"?

Möbel mit Boulle-Marketerie, einem aus Platten von Schildpatt, Horn und Buntmetallen -seltener auch Elfenbein und Perlmutt - ausgesägten ornamentalen Dekor, wurden seit dem 17. Jh. hoch geschätzt. Besonders das hochpolierte Schildpatt faszinierte, wie auch asiatischer Lack, als exotisches, seltenes und damit wertvolles Material. Boulle-Möbel entsprachen damit dem Verlangen der europäischen Adelshäuser nach standes-gemäßem Luxus und Repräsentation. Sie gehören heute noch zu den kostbarsten, aber auch schadensintensivsten Objekten der Möbelkunst.

Charakteristisch für die nach André-Charles Boulle (Ebéniste, Ciseleur, Doreur et Sculpteur du Roi, Paris 1642-1732) landläufig so genannte "Boulle-Technik" ist die Methode, die für eine Marketerie verwendeten Materialien sowie die Zeichnung des Motivs zu einem Paket aufeinanderzuleimen und zusammen mit einer feinen Laubsäge auszusägen.

Beim Trennen der Verklebung erhält man also gleiche Formen aus unterschiedlichen Materialien. Die hellen Verzierungen aus Messing werden in den dunklen Fond aus Schildpatt eingelegt, die so genannte "première partie" . Diese gilt wegen des hohen Anteils an teurem Schildpatt als besonders wertvoll. Furniere mit hellem Fond aus Messing werden als "deuxième partie", oder "contre-partie" bezeichnet. Daher wurden Möbel mit Boulle-Marketerie sehr häufig als baugleiche Paare in hellem und dunklem Dekor hergestellt, ein Vorgehen, das der besonders ausgeprägten Vorliebe des Barock für Symmetrie entgegen kam.

Nach dem Aufleimen der Marketerie auf den hölzernen Korpus und dem anschließenden Planieren und dem Feinschliff der Flächen wurden vor allem die Messingteilchen, aber auch Schildpatt und Horn graviert. Die Gravur gibt dem Dekor seine eigentliche Form, die gravierten Schattierungen und Linien verleihen ihm Tiefe und Eleganz. Sägefugen und Gravuren wurden mit einem schwarzen Kitt gefüllt und die Oberfläche mit immer feineren Schleifmitteln auf Hochglanz poliert.

Das für den Fond der Marketerie verwendete Schildpatt ist die Bezeichnung für die Epidermis, also die verhornte Oberhaut der Rücken- und Bauchschilde von Schildkröten. Das im Kunsthandwerk verwendete Schildpatt wird ausschließlich von drei Arten der Meeresschildkröten, den Cheloniidae gewonnen. Es handelt sich um die Echte Karettschildkröte (l. Eretmochelys imbricata,e. hawksbill turtle, f. la Carette), die Unechte Karettschildkröte (l. Caretta caretta,e. loggerhead turtle, f.Caouanne) und die Suppenschildkröte (l.Chelonia mydas, e. green turtle,,f. tortue franche)., die im 18. Jahrhundert keine Verwendung im Kunsthandwerk fand. Schildkröten sind heute durch das Washingtoner Artenschutzabkommen , Anhang A geschützt. Die Verarbeitung von rezentem Schildpatt (z.B. aus Beschlagnahmungen) zu nichtkommerziellen Zwecken bedarf der Genehmigung des BA für Naturschutz und Umwelt.

Die Herstellung einer Kopie in Boulle-Technik

Im Zuge der Wiedereinrichtung des Historischen Grünen Gewölbes im Dresdner Schloß sollten für das sog. "Bronzenzimmer" mehrere im II. Weltkrieg verloren gegangene Postamente für die Skulpturensammlung Augusts des Starken rekonstruiert werden. Als Vorlage für die Neuanfertigungen dienten die noch vorhandenen Originale, die jeweils ihr Gegenstück bekommen sollten. Das Ziel war, die Schönheit und Ausstrahlung eines Möbels des 18. Jh.  mit originalgetreuen Materialien und weitestgehend auch in historischen Arbeitstechniken zu erreichen. Auf eine künstliche Alterung und Patinierung wurde verzichtet, denn die Kopie soll als solche erkennbar bleiben und im Laufe der Zeit ihre eigene Geschichte und Aura entwickeln.

Die Herstellung einer Kopie ist technisch sehr aufwändig und soll hier in einigen Schritten vorgestellt werden.

 
Herstellung des Möbelkorpus
Vom Original wird eine technische Zeichnung erstellt, nach der die Kopie gebaut wird. Vor dem endgültigen Zusammenbau werden sie zuerst furniert.


 

Schildpatt
Die vom Panzer abgelösten Platten werden eingeweicht, in einer Presse planiert und anschließend auf ca. 1 mm kalibriert. Sie werden beidseitig poliert, um eine möglichst hohe Transparenz zu erreichen. Danach werden sie rückseitig farbig bemalt und mit Papier beklebt.
 
Vorzeichnung
Der Dekor des Originals wird durchgepaust. Anschließend wird eine sehr exakte Vorlagenzeichnung angefertigt, von der Kopien erstellt werden können.

 


Zuschnittplan

Die Schildpattplatte hat nur eine bestimmte Größe. Auch der Radius des Sägebogens ist begrenzt. Daher muß eine Marketeriefläche aus mehreren Teilabschnitten zusammengesetzt werden. Deren Anschlußlinien und Größe wird am Original ermittelt (links). Anschließend werden die Päckchen für den Zuschnitt zusammengestellt. Dafür werden eine dünne Unterlage, Schildpatt, poliertes Messingblech in passender Größe sowie ein Ausschnitt der Zeichnung aufeinandergeklebt.

 

Zuschnitt
Der Zuschnitt der Marketerie erfolgt ganz traditionell mit der Laubsäge an einem kleinen Sägebrett.

 

Puzzle
Nach dem Zuschnitt zerfällt das Päckchen in seine Einzelteile, die anschließend noch voneinander getrennt und von Kleberresten und Papier gereinigt werden müssen.

 
Première und contre-partie
Anschließend werden die ausgesägten Marketerieteilchen ineinandergelegt, wobei eine Fläche mit dunklem Fond, die "première partie" (links) und eine Fläche mit hellem Fond, "contre-partie" (rechts) entsteht. Die Marketerie
wird von der Vorderseite verklebt.
 

Aufleimen
Die Marketerie wird auf den Korpus aufgeleimt. Verwendet wird Glutinleim, um eine spätere Restaurierung nicht zu verhindern. Moderne Leime, besonders Kunstharze, würden die Reparatur eines Schadens erheblich erschweren.
 

Gravur
Nachdem das Postament zusammengebaut wurde, alle sonstigen Marketerieteile wie Ebenholz- und Messingadern aufgeleimt wurden, werden die Flächen planiert und feingeschliffen. Erst dann wird die Marketerie graviert. Zum Schluß werden die Fugen gefüllt, die Oberfläche poliert und mit einem Überzug gegen Korrosion geschützt.
 
Fertigstellung
Auch die Messingappliken wurden von den Originalen abgenommen und nachgegossen. Auf eine übliche Feuervergoldung wurde verzichtet, um einen Unterschied zm Original zu schaffen. Das Messing wurde leicht anoxidiert, um es farblich an das Original anzugleichen und ebenfalls gegen Korrosion geschützt.